Dorfleben in Gatow 1914-1945

Von Ursula Kluchert, geb. Schleu

Der 1. Weltkrieg von 1914-1918 war endlich vorbei. Wie überall in Deutschland blieben auch den Gatower Familien Tränen und Leid nicht erspart. Gatower Väter und Söhne ließen bei den Kämpfen an der West- und Ostfront ihr Leben. Der Kaiser dankte ab und floh nach Holland. In Deutschland brachen Unruhen aus, es wurde die Republik ausgerufen und es gab politische Auseinandersetzungen im Kampf um die Macht. Die Unruhen berührten das Dorf nur wenig. Die Bauern gingen ihren Arbeiten nach, Äcker wurden bestellt und geerntet und es herrschte Freude im Dorf, als nach und nach die Männer nach Hause kamen, um wieder den Pflug oder den Hammer in die Hand zu nehmen. Die Not der Bevölkerung in den Städten war groß. Die Berliner gingen in die Dörfer um Kartoffeln, Gemüse, Obst, Eier und Gemüse zu „hamstern“. Auf dem Land lebte man noch immer besser mit den Hauptnahrungsmitteln, da die Dorfbewohner oft autark lebten. Deutschland erlebte die Inflation. Über Nacht waren alle Gelder und Guthaben wertlos. Es gab Papiergeld, man rechnete mit Millionen und Billionen. Für ein verkauftes Schwein gab es gerade mal 1 Paar Kinderschuhe. Mit den Jahren 1914 hatte der Wohlstand in Gatow seinen Höhepunkt erreicht und mit dem 1. Weltkrieg begann der Abstieg. 1920 waren die Menschen arme Leute geworden und die Inflation begann. Ab 1927 wurde es dann besser. Aber nur langsam ging es mit der Landwirtschaft bergauf, unser Dorf hatte sich wohl kaum verändert. Die langjährigen ansässigen Handwerker, wie den Tischler Friedrich Krause, den Stellmacher Paul Krause, so wie den Sattler Otto Schulz gab es nicht mehr. Der Stellmacher Günther hatte seine Werkstatt noch in der Buchwaldzeile auf dem Bauernhof von Ernst Schulze und nahm Aufträge der Gatower entgegen. Nicht nur Arbeit erfüllte das Leben der Gatower, sie pflegten den guten Kontakt zu Verwandten und Freunden. Um in entfernte Orte zu gelangen, war die Kutsche das schnellste Transportmittel. Für Fahrten in den damals noch sehr schneereichen Wintermonaten wurde der Schlitten benutzt. Die Pferde bekamen das gute Kutschgeschirr aufgelegt, auch das Glockengeläut durfte dann nicht fehlen. Für die Schlittenfahrten nahm man die innen mit Schaffell ausgefütterten Fußsäcke oder die wärmenden Fußtaschen aus der Truhe. Auf öffentlichen Straßen entfernte man zu jener Zeit noch nicht den Schnee, sie waren also für Schlitten gut befahrbar. Eine idyllische Angelegenheit war es schon, in schneebedeckter Landschaft, bei frischem oft eisigem Wind dahinzugleiten. Es war ein tolles Erlebnis. In der kalten Jahreszeit bot die Havel ein großes Vergnügen. Zu Zeiten der Großeltern war es der Packschlitten an dem die Erwachsenen und die Kinder Freude hatten, doch später konnte das Schlittschuhlaufen geübt werden. Im Jahre 1905 schloss der Gastwirt des Wirtshauses Gatow, Paul Krause, einen Pacht-Nutzungsvertrag zur Nutzung der Havel, von der Linie Schildhorn Nordende von Gatow stromabwärts bis Lindwerder, zur Anlegung einer Schlittschuhlaufbahn ab. Für den Gastwirt war es eine willkommene Aufgabe, die Sportler in der kalten Jahreszeit mit heißen Getränken und Essen in seinen warmen Räumen zu bewirten . Als Anleger dieser Bahn fühlte er sich verpflichtet, auf Sicherheit achtzugeben und steckte auch in späteren Jahren die Gatower Eisfläche ab. Obwohl Gatow nicht mehr nur das kleine Dorf war, zählte es durch die vielen Ansiedlungen bereits 610 Einwohner im Jahr 1920. Hermann Braun, der in Gatow sesshaft wurde, ließ etwa 1920 am Anfang des Dorfes und hinter den Grundstücken an der Gatower Straße bis zum großen Abflussgraben der Rieselfelder, Land besiedeln. Es entstand die Kolonie Havelblick. Auch der Gutsbesitzer Schrödter sah eine gute Einnahme in der Bebauung des sandigen Mühlenbergs. Einige Jahre später entstanden hier kleine Siedlungshäuser, die den Ort nicht beeinträchtigten, so dass Gatow noch seinen dörflichen Charakter behielt. Viele Geschäfte gab es noch nicht. Ein Gemischtwarenhandel führte außer Grundlebensmittel alles was zum täglichen Bedarf benötigt wurde: Kochtöpfe, Teppichklopfer, Fußabtreter, Reißzwecken, Holzpantinen, Schreibpapier, Schulhefte, Tinte, Federhalter, Kerzen, Petroleum usw… Die Regale waren bis zur Decke mit Waren vollgestopft. Der frühere Mühlenbesitzer entdeckte für seinen Sohn Ernst eine andere Einnahmequelle, er wurde Bäcker. Die Mühle wurde mit der Zeit hinfällig und morsch. Sie wurde verkauft und diente einer Filmgesellschaft in den Filmen „Die Liebesabenteuer der schönen Evelyne“ und „Die Mordmühle auf Evanshill“ als Kulisse. Das Mühlenhaus wurde vergrößert und mit Backstube und Ofen für den neuen Beruf eingerichtet. Zwar verfügte jeder Bauernhof im Garten über einen eigenen Backofen, doch der neue Ofen war besser. Jeden Sonnabend brachten nun die Einwohner Blech- und Napfkuchen zum Abbacken in die Backstube. Im Laden verkaufte die Bäckerfrau nun Brot, Brötchen und Kuchen. Daneben befand sich sogleich die Küche in der sie nebenbei für die Familie und die Beschäftigten das Essen bereitete. Jeden Tag im Sommer, ob Regen, ob Sonnenschein, ruderte der unverheiratete Bruder Reinhold mit dem Kahn nach Schildhorn – vom Wirtshaus Gatow über die Havel, um die drei dort befindlichen Gaststätten mit frischer Ware zu beliefern.

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© Ulrich Reinicke